atomica
primoprimaria
Vor Milliarden Jahren,
als es mangels Sonne und Erde
noch keine Jahre gab,
zur Zeit, als noch keine Zeit war,
da geschah es eines Tages,
als es weder Tag noch Nacht gab,
da habe es plötzlich einen Knall gegeben
den "Urknall".
Wenn nun das Nichts nicht knallen kann,
muß das Knallende wohl ein Es,
ein irgendwie Etwas,
ein Seiendes,
auf griechisch ein
ON
gewesen sein,
das auf einmal,
wenn nicht schon
von uran da war:
das
UR-ON
. . .
In memoriam Fridolin Stier
In memoriam Fridolin Stier
1902-1981
Viele Atomen entstanden:
H, O, Na, C, Cl, N, S . . .
In memoriam Fridolin Stier
Im Anfang war das Ur-on,
und das All war im Ur-On,
und aus dem Ur-On ist alles geworden . . .
Und da waren, ob auf einmal, ob von uran,
die "kleinsten Teilchen".
Und die Teilchen "liebten" einander
und sehnten sich nach Unteilbarem,
und sie schlossen sich innig zusammen
und machten einen "Kern",
und der Kern hüllte sich in Mäntel (Neutron, Elektron).
Und so geschah es,
das das
ATOMON
ward.
In memoriam Fridolin Stier
1902-1981
In memoriam Fridolin Stier
Und auch die Atome "liebten" einander
und koppelten sich eifrig:
O nahm 2H an, und da ward das Wasser,
Na nahm Cl, und da ward das Salz:
Die Moleküle entstanden, Milliarden Moleküle.
Auch die Moleküle "liebten" einander
und schlossen sich zu seltsamen Gesellschaften zusammen.
Und als sich ein paar Dutzend
erlesener Molekülgesellschaften vereinigt hatten,
entsprang ihnen plötzlich - das
LEBEN.
In memoriam Fridolin Stier
1902-1981
Leben in Millionen Gestalten . . .
und in allen wie von uran waltend - die
„LIEBE“.
Was ist es - dieses Zusammenziehende,
dieses Gestalten Erfindende und Erschaffende?
Und was ist all des der Sinn?
Ob nicht hinterm Thron des Kobolds,
dem Menschenhirngespinst,
das verborgene Antlitz des Ursprungs lächelt
und murmelt - den
SINN?
In memoriam Fridolin Stier
In memoriam Fridolin Stier
Sie
hieß
Sybille,
sie
war
sein
Glück
und
brachte
ihn
zum
Verzweifeln.
Ihren
Geburtstag
notierte
er
Jahr
für
Jahr
jubilierend
im
Tagebuch.
Seit
sie
bei
ihm
wohnte,
hielt
er
es
sogar
mit
sich
selber
aus.
Plötzlich
aber,
von
der
einen
auf
die
nächste
Sekunde,
war
das
Haus
am
Waldesrand
ein
"Fremdenheim"
geworden.
Fridolin
Stier
fühlte
sich
seit
jenem
Septembermorgen
1971,
als
Sybilles
Auto
gegen
einen
Baum
fuhr,
abgeschnitten
von
den
Wurzeln
seines
Daseins.
Er
klagte
Gott
an:
'Ist
das
eure
Sprache,
ihr
himmlischen
Mächte,
ihr
Herren?"
Die
verstorbenen
Sybille
war
seine
Tochter
gewesen,
die
Tochter
des
katholischen
Theologen,
Bibelübersetzers
und
eben
auch
Pfarrers
Fridolin Stier.
In
seinen
bewegenden
Tagebuchaufzeichnungen
("Vielleicht
ist
irgenwo
Tag"),
finden
sich
essentielle
Gedanken
eines
Denkers
der
Ganzheit
-
vergleichbar
mit
anderen
Großen,
die
getrennte
Kulturen
verbinden:
Reinhold
Schneider,
Carl
Friedrich
von
Weizsäcker,
Teilhard
de
Chardin,
Alfred
North
Whitehead.
In
seinen
Texten
und
Gedichten
werden
die
spannungsreichen
Verbindungen
von
Religion
und
Naturwissenschaft,
von
sensibler
Spiritualität
und
biologischen
Fakten,
von Bibel und Physik ausgelotet.
Hier
schreibt
ein
sprachmächtiger
Mann
mit
großer
intellektueller
Redlichkeit
und
emotionaler
Anspannung
über
seine
Leidenserfahrung,
seine
Krisen
der
Sinnlosigkeit,
seine
Auflehnung,
die
ihn
-
trotz
allem
-
sein metaphysisches Suchen und Hoffen nicht aufgeben lassen.
Der Text „GENESIS“ stammt aus seinem Tagebuch vom 16. November 1971